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Birgit ist 63 Jahre alt, vierfache Mutter, bald dreifache Oma (wow! - wir gratulieren vom Herzen!). Sie nimmt an dem Basislevel der Tamalpa-Ausbildung nun zum zweiten Mal teil. Wir möchten wissen, warum sie sich dafür entschieden hat und wie es ihr dabei ergeht.

 

Birgit, wie ist Tamalpa überhaupt in dein Leben gekommen?

 

            Schon immer habe ich eine kreative Arbeit gesucht. Als junge Frau habe ich Bildhauerei studiert, habe Kinderkurse darin gegeben. Ende 20 bei unserem dritten Kind habe ich ganz aufgehört. Doch schon damals hatte ich das Gefühl, dass ich mit der kreativen Arbeit etwas nachgeholt habe, was ich als Kind nicht machen durfte. Manche Sachen sind wirklich unglaublich... (Lächeln) Ich habe mir immer gesagt: „Und wenn ich dann 60 bin, mache ich wieder etwas Kreatives.“ Als ich 58 Jahre alt war erkrankte mein Mann an Krebs. Ich sagte zu ihm: „Wenn du gesund wirst, will ich mit dir tanzen.“. Das taten wir dann auch. Das war für mich der Anfang. Mein Mann tanzt nicht mehr. Ich habe in den Tamalpa Kursen entdeckt, dass es sich auch gut mit sich selber tanzen lässt. Nach einigen Wochenendkursen habe ich mich für das erste Level der Ausbildung angemeldet.

 

Wie war das erste Level der Tamalpa-Ausbildung für dich?

 

            Ich bin gerade noch so im Nachrückverfahren rein gekommen. Die Plätze waren knapp. Das erste Jahr war für mich geprägt durch Loslassen alter Verletzungen. Ich arbeitete zu der Zeit viel mit dem „inneren Kind“. Dieses „innere Kind“ war sehr zurückgezogen und traute sich nicht viel zu. Im Nachhinein weiß ich, dass das viel mit dem Erleben meines übergriffigen Vaters zu tun hatte. Er war sehr grob. - Heute ist mir klar, das mein Vater autistisch veranlagt ist. - Es durfte nichts auf dem Tisch stehen, was er nicht wollte. Wenn wir was anderes gekocht haben, musste es entsorgt werden. Ich habe mich zu Hause nie willkommen gefühlt.

Anfangs habe ich mich in den Tanzkursen immer wie gelähmt gefühlt, starr. Das spüre ich heute immer noch.

 

Gleichzeitig spüre ich, wie es sich verändert hat. Am stärksten habe ich die Veränderung in der Abschluss-Performance erlebt. Ich konnte bei dem Vorbereitungstreffen nicht dabei sein. So habe ich nichts Großes vorbereitet, z. B. keine Musik, keine Helfer. „Das muss ich jetzt einfach so machen,“ dachte ich mir.

An dem Wochenende selbst hatten alle große Freude beim Vorbereiten. Und dann war die I. da und hat gesagt: „Ich mach dir die Haare“. (Lachen) Und hat mir dann die Haare geflochten. Das War dann auch so was Neues, Weicheres. H. hat mich geschminkt. Das sind alles so Sachen, die ich nie mache. Das war schön.

 

In der Performance habe ich als eine Handlung Gefühle, die ich von meinem Vater übernommen hatte, an ihn, vertreten durch einen anderen Performer, zurückgegeben. Die habe ich auf ein Blatt aufgeschrieben und habe sie ihm gegeben. Geholfen hat mir dabei T. . In einer Rolle, die meinem Vater ähnlich war und der mich anschrie. Ich habe mich dann unter ein schwarzes Tuch versteckt, machte mich ganz klein. Dann war die Frage, wie kann ich da raus kommen. In dem Moment habe ich dem Mitperformer das Blatt gegeben. Danach habe ich nach neuen Worten gesucht, wie Liebe, Vertrauen, habe sie auf einem grünen Mantel gelegt, ihn angezogen und damit getanzt. Und dann kamen einfach alle dazu. Das war sehr schön. Das war eine neue Qualität, die dann kommen durfte. Ich habe mich am Anfang von etwas Neuem befunden. Und natürlich wollte ich mehr von dem Neuen! Also habe ich mich noch Mal für das zweite Jahr angemeldet.

 

Wie geht es dir damit die Dinge zu wiederholen? Ist es manchmal langweilig?

 

            Ich habe nicht das Gefühl, dass es eine Wiederholung ist. Es ist eine Weiterführung dessen, was ich erlebt habe. Ich musste das Alte verarbeiten, um etwas Frisches überhaupt rein lassen zu können. Nach dem ersten Durchlauf hatte ich erst die Basis dafür. Und es ist überhaupt nicht langweilig. Es ist ganz anders. Manche Dinge wurden verändert, mein Erleben ist anders und es tauchten auch neue Themen für mich auf.

Die Auseinandersetzung in diesem Jahr – das sehe ich jetzt im Nachhinein – die andere Seite meiner selbst, die Weibliche. Das entspricht der Seite meiner Mutter. Sie ist eine so feine Frau. Die hat nie was für sich getan, immer nur für die anderen. Ich habe dann verstanden, dass meine Mutter, die ich eigentlich sehr liebe, mir auch viel Leid angetan hat. Sie war stumm den Dingen gegenüber die passierten. Ich habe darunter immer so sehr gelitten, dass ich nie eine Wut gespürt habe. Im laufe des Ausbildungsjahres konnte ich tänzerisch mit Wut explorieren.

Meine Mutter ist im Prozess des Malens des zweiten Abschlussportraits gestorben.

Vor einiger Zeit habe ich das Buch „Die Initiation von Celestine“ gefunden. Beim lesen habe ich es aufgeschrieben, wie es da steht, was es für mich bedeutet, wie meine Eltern so sind. Inspiriert von dem Buch habe ich die zwei Selbstportraits aus der Tamalpa-Arbeit neben einander gelegt. Meine Mutter war hochsensibel, mein Vater brutal. Mir ist heute bewusst, in was für einem Spannungsfeld ich groß geworden bin. Ich habe mich zu Hause nie geliebt gefühlt. Daran habe ich im 2. Jahr gearbeitet – an der Selbstliebe. Und dann kam in mir etwas zartes, feines als Gefühl auf. Mir kam das Bedürfnis mich dem hinzugeben.

Es hat sich noch etwas Wichtiges für mich verändert. Ich merke, dass ich mich jetzt traue, etwas zu sagen. Früher habe ich es genutzt, mich hinter meiner Schweigsamkeit zu verstecken. Darunter habe ich immer sehr gelitten. Obwohl ich einen besonderen Mann, meine Kinder, meine Familie habe, habe ich mich sehr einsam gefühlt. Ich habe mich nie getraut mich zu zeigen. Letztens ist mir in einem Gespräch mit meinem Mann klar geworden, dass sie es gar nicht wissen konnten, wie es mir geht. Ich habe mich ja nie gezeigt.

 

Eine wichtige Sache bei Tamalpa ist die Zeugenschaft. Das sich Zuschauen beim Tanzen. Da musste ich lernen mich zu zeigen. Jetzt kann ich in der Gruppe und auch zu Hause viele Sachen, die mich beschäftigen, sagen.

Letztendlich war das große Thema in den beiden Tamalpa-Jahren zu lernen, mich selbst zu lieben. Vom Sollen zum Wollen. Ich fühle mich viel mehr in mir. Ich bin mehr da, in mir angekommen.

 

Es war also eine richtige Entscheidung für dich das Basislevel noch ein Mal zu machen. Würdest du es anderen empfehlen zu wiederholen? Warum genau?

 

            Ja. Für mich war es ein Geschenk, dass ich es noch Mal machen durfte. Tamalpa hat mir einen Raum gegeben, um aus der Verkapselung raus zu kommen. Ich habe vorher viele andere Sachen gemacht. Aber hier konnte ich wirklich lernen, es zu überwinden. Eben das mit der Zeugenschaft-Methode war so wichtig für mich.

In Laufe der Zeit habe ich auch festgestellt, wie heilig der ganze Raum ist, in dem sich die Gruppen hier bewegen. Die zwischenmenschlichen Prozesse sind sehr wertvoll.

Durch den Aufbau des Ausbildungsjahres, das man sich durch die einzelnen Körperteile hindurch bewegt, habe ich auch überhaupt meinen Körper zu spüren gelernt. Ich habe gelernt, wie wichtig z. B. Armbewegungen für das Emotionale sind.

Ich fühle auch die Heilerin in mir. Kunst ist für mich ein Heilungsprozess.

Ich fühle mich klarer. Ich spüre mich selber. Das ist ein großes Geschenk für mich.